In diesem Jahr laufen nach 15 Jahren Laufzeit die Milleniumsziele (MDGs) der Vereinten Nationen aus. Die Bilanz ist durchwachsen, doch die UNO plant schon die nächsten Ziele. Die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) sollen die MDGs ergänzen. Und wieder einmal werden die drängendsten Fragen unserer Zeit unzureichend beantwortet.
Im September 2000 kamen in New York Staats- und Regierungschefs von über 189 Ländern zusammen, um gemeinsam die sogenannten Milleniumentwicklungsziele zu verabschieden. Es sollte ein denkwürdiger Tag werden. Hunger, Armut, Kindersterblichkeit, HIV/AIDS Malaria, Kindersterblichkeit und die Gleichberechtigung der Geschlechter wurden in 8 Zielen formuliert und sollten innerhalb von 15 Jahren verbessert werden. Die internationale Gemeinschaft war scheinbar fest entschlossen, die wichtigsten Zukunftsfragen unseres Planeten anzugehen.
Was können wir heute, 15 Jahre später, für eine Bilanz ziehen?
Eine Durchwachsene.
Es stimmt, dass beim Ziel, allen Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen, ein deutlicher Fortschritt erreicht werden konnte. Trotzdem können nach wie vor weltweit 57 Millionen Kinder nicht zur schule gehen.
Es stimmt, dass die Bekämpfung von HIV/AIDS deutlich vorangekommen ist. Es ist aber auch richtig, dass die Kinder- und Müttersterblichkeit nach wie vor extrem hoch ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind vor seinem 5. Lebensjahr stirbt, ist in armen Ländern nach wie vor 13mal höher als in reichen Ländern. Ähnlich schockierend die Zahl der Müttersterblichkeit: Täglich sterben nach wie vor rund 1000 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft oder Geburt.
Es stimmt, dass das wohl wichtigste Ziel der MDGs, die Halbierung des Anteils der weltweit in extremer Armut lebenden Menschen erreicht wurde. Es stimmt aber auch, dass dieses Ziel vor allem dem wirtschaftlichen Aufstieg Indien und Chinas zu verdanken ist.
In Sub- Sahara Afrika wurde das Ziel verfehlt. Die Zahlen sind weiterhin alarmierend. Kann man denn wirklich von einem Erfolg sprechen, wenn immer noch 900 Millionen Menschen hungern und 1,2 Milliarden Menschen von weniger als 1€ am Tag leben müssen? Warum definieren wir Armut immer noch ausschließlich als monetären Aspekt? Ist Armut denn nicht auch eine Frage der Teilhabegerechtigkeit? Eine Armut, die vielen Menschen nach wie vor grundlegende politische Rechte und Zugang zu Ressourcen und Entscheidungsprozessen verwehrt, wurde in den MDGs komplett vernachlässigt und ausgeklammert. Aber ist Armut denn messbar? Und ist eine Armutsbekämpfung nachhaltig, die ausschließlich den monetären Aspekt berücksichtigt und selbst in diesem Bereich nur durchschnittliche Erfolge erzielt? Fragen, die sich Staats- und Regierungschefs bei der Aushandlung der SDGs stellen sollten.
Kofi Annan, ehemaliger Generalsekretär und wichtiger Impulsgeber der Vereinten Nationen sagte einmal nach Aushandlung der MDGs vor über 15 Jahren: „Die MDGs können 2015 erreicht werden, aber nur wenn alle Beteiligten mit dem Dogma business as usual brechen und endlich Gas geben, um die Ziele zu erreichen.“ Er sollte Recht behalten. Business as usual. Eine Zielverfolgung die nur halbherzig und vor allem von engagierten politischen Akteuren vorangetrieben wurde, ohne die Ursachen von Armut aufzugreifen.
Im Moment befinden wir uns nun im sogenannten Post-2015 Agenda- Prozess in dem die MDGs durch nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs) ergänzt werden sollen. Die Aushandlung und Ausgestaltung der SDGs befindet sich in vollem Gange. Nach einer durchwachsenen Bilanz bei den MDGs treibt die UNO nun „eine weitere Sau durchs Dorf“, wie es Klaus Boldt, Herausgeber der entwicklungspolitischen Informationsseite epo.de, formuliert.
Während die MDGs insbesondere von Industrienationen für entwicklungsländer konzipiert wurden, sollen die SDGs für alle Länder gelten. Ein Fortschritt. Und doch einer der wenigen.
Das Versagen bei den MDGs in vielerlei Aspekten impliziert den Namen der neuen Ziele: Nachhaltigkeitsziele. Sollte Nachhaltigkeit nicht grundsätzlich Paradigma entwicklungspolitischen Handelns sein? Die Klimaerwärmung, eins der wichtigsten und zugleich drängendsten Themen unserer Zeit, wurde immer mehr zum Randthema in den MDGs. Eine Verknüpfung von sozialen und ökologischen Zielsetzungen war nicht auszumachen. Dies soll sich nun ändern.
Doch lässt sich dieser Fehler nun einfach so mit neuen Zielen korrigieren, ohne dass die alten Ziele bisher den gewünschten Erfolg gebracht haben?
Es mangelt nationalen Regierungen und der UNO an einem grundsätzlichen Umdenken. Nur wer die Ursachen von Armut tiefgreifend analysiert, ist in der Lage sie zu beheben. Ein Ende der Armut und ein konsequente Umsetzung der Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele erscheint ohne eine grundlegende Behebung der weltweiten Ungleichheitsstrukturen aussichtslos. Eine Hauptursache der weltweiten Armut ist sowohl national als auch international die wachsende Ungleichheit der Einkommensstrukturen. Dies macht Armut in vielen Entwicklungsländern erst möglich. Ohne eine gerechte Verteilung von Ressourcen, seien es rohstoffe, Lebensmittel, Zugang zu sauberem Trinkwasser und eine gleichermaßen gerechte Verteilung an Chancen wird es kein Ende der Armut geben. Keinen Erfolg der MDGs. Das wissen wir bereits. Und erst recht keinen Erfolg der SDGs. Das ist neu.
Die SDGs klingen fortschrittlich, gar visionär. Ende der extremen Armut, Ende des Hungers, Gesundheitssicherung für alle, Gleichberechtigung der Geschlechter, Zugang für alle zu sauberem Trinkwasser, eine nachhaltige Energieversorgung für alle, klimawandel stoppen.
Sie lassen auf eine bessere Welt hoffen und wecken Erwartungen, die sie nicht erfüllen werden. Von den Worten zu den Taten ist es ein weiter Weg. Insbesondere dann wenn der politische und ökonomische Wille fehlt. Ohne Behebung von global ökonomischer und sozialer Ungleichheit wird es keinen Erfolg der SDGs geben.
Stichwort strukturelle Ungleichheit: Eine Vokabel, die die Bundesregierung und auch die UNO sowohl bei der Umsetzung der MDGs als auch bei der Ausgestaltung der SDGs hartnäckig vermeidet. Es mangelt beileibe nicht an fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche die Ursachen der Armut in direktem Zusammenhang mit sozialen und ökonomischen Ungleichheitsstrukturen stellen. So stellt sich durchaus die Frage, inwiefern ein neuer Zielkatalog ohne Behebung der weltweiten Ungleichheitsstrukturen zu einem Ende der Armut führen soll. Bis 2030 soll extreme Armut in jeglicher Form eliminiert werden. Doch was ist extreme Armut? Und was passiert mit so genannter einfacher Armut? Wie soll Armut ohne Benennung der Ungleichheitsstrukturen behoben werden? Fragen, auf die nationale Regierungen und die Vereinten Nationen Antworten schuldig bleiben.
Entwicklung, Nachhaltigkeit, Bekämpfung der Armut, Schutz der Umwelt. Alles ehrenwerte Ziele, die dennoch auch als Ausformulierung in den SDG`s in der Umsetzung scheitern werden. Barbara Unmüßig, NGO-Aktivistin und Publizistin, kommentierte den Post-2015 Agenda-Prozess letzen Herbst sehr treffend: „Wir sehen überhaupt nicht mehr, was im Großen und Ganzen passiert“. Genau das sollte die UNO eigentlich tun.
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oxfam.de: Die Milleniumsziele – erklärt in 2 Minuten – Stand: 25.2.2015
bmz.de: Entscheidende Weichenstellung für globale Nachhaltigkeitsziele – Stand: 25.2.2015
taz.de: Zwischenbilanz der UN-Milleniumsziele – Endspurt im Kampf gegen Armut – Stand: 25.2.2015
bpb.de: Die Milleniumsentwicklungsziele – eine gemischte Bilanz – Stand: 25.2.2014
nachhaltigkeitsrat.de: SDG nehmen Nachhaltigkeit in den Fokus – Stand 22.03.2018
bundesregierung.de: Post-2015-Agenda – „Die Nachhaltigkeitsziele sind ein völliger Paradigmenwechsel“ – Stand 25.2.2015
wikipedia.org: Nachhaltige Entwicklungsziele – Stand 25.2.2015
epo.de: Barbara Unmüßig zum Post-2015 Prozess – „Die Armutsdebatte wird wieder an die Helfer delegiert“ – Stand 25.2.2015